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Heike Taubert: »Ich war in einer Vorstufe zur Sucht«
Thüringens frühere Sozial- und Finanzministerin blickt auf ihre politische Laufbahn zurück
Frau Taubert, läuft bei Ihnen zu Hause eigentlich gerade »My Way« von Frank Sinatra in Dauerschleife?
Nein, ich höre ohnehin nur wenig Musik. Ich muss mich auf andere Dinge konzentrieren, da bevorzuge ich Ruhe und Stille.
Thüringens Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat sich mit diesem Lied von der Bundeswehr aus dem Amt des Regierungschefs verabschieden lassen. Da ging es weniger um Konzentration als darum, ein Statement zu setzen. Nämlich das, dass er eigentlich nichts bereut. Bereuen Sie etwas?
Na klar bereue ich auch ein paar Sachen, aber insgesamt doch ziemlich wenige. In dem Moment, in dem man eine Entscheidung trifft, glaubt man ja, dass man das Richtige tut, nach Abwägung aller Argumente. Aber natürlich schätzt man Dinge auch mal falsch ein, zum Beispiel beim Personal. Manchmal stellt man jemanden ein, weil man denkt, der arbeitet ganz aktiv, und dann schläft der bald ein beim Arbeiten. Oder er hat zwar eine hohe Befähigung in Fachfragen, aber bald zeigt sich, dass er keine emotionale Intelligenz besitzt, die aber ebenso wichtig ist wie Fachkompetenz. Bei so was kann man sich leicht verschätzen.
Mehr als zehn Jahre lang hat Heike Taubert die Thüringer Landespolitik geprägt wie kaum eine andere Frau. Mit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die Brombeer-Koalition aus CDU, BSW und SPD im Dezember 2024 hat die landespolitische Karriere der Sozialdemokratin ein Ende gefunden – auch, weil viele in der eigenen Partei sich von der 66-Jährigen abgewandt hatten.
Wie schwer ist es Ihnen gefallen, von Ihrem Ministeramt zu lassen?
Das war nicht leicht. Ich konnte mich natürlich ein bisschen darauf vorbereiten, weil ich nach dem SPD-Parteitag im April 2024 wusste, dass ich in dieser Legislaturperiode weder ein Landtagsmandat noch ein Ministeramt haben würde. Seitdem war mir klar, dass weder das eine noch das andere von der Mehrheit der Thüringer SPD gewollt ist. Deswegen habe ich über Monate hinweg versucht, mich emotional darauf einzustellen, dass der Tag des Loslassens kommen würde.
Der dann mit der Regierungsübernahme durch die Brombeer-Landesregierung im Dezember gekommen war.
Und der mich dann doch getroffen hat. Da denkst Du: Ja, gucke, jetzt ist es tatsächlich passiert.
Wie haben Sie sich an diesem Tag – dem 13. Dezember 2024 – gefühlt? Ging es Ihnen da auch physisch schlecht?
Physisch habe ich da nichts gemerkt. Aber in den Tagen danach hatte ich schon öfter so ein komisches Gefühl. Da fragst du dich manchmal: Schon acht Uhr durch und es steht kein Fahrer mehr vor der Tür. Dann fällt dir ein: Ach so, du bist jetzt Rentnerin.
Sie haben einen erheblichen Teil Ihres Berufslebens in der Politik verbracht – einer Branche, in der gut bezahlt wird, die aber auch viel Arbeit von frühmorgens bis spätabends bedeutet und in der mit harten Bandagen gekämpft wird. Was ist Ihre Erfahrung: Warum sind so viele Menschen fasziniert vom politischen Betrieb und wollen da bis ganz nach oben?
Wenn man sich meine Biografie anschaut, dann bin ich Stück für Stück in die Politik hineingewachsen, ohne dass ich am Anfang das Ziel hatte, Sozial- oder sogar Finanzministerin zu werden. Weder das eine noch das andere Amt hätte ich mir zugetraut, als ich 1990 in die SPD eingetreten bin. Was mich aber – und das geht vielen Menschen so – immer mehr gereizt hat an der Politik, war die Möglichkeit, Dinge wirklich zu gestalten, sie eben nicht nur erdulden zu müssen.
Aber spätestens nach Ihrer Zeit als Sozialministerin muss Ihnen auch klar gewesen sein, welche Schattenseiten dieses Geschäft hat. Trotzdem haben Sie sich dann auf den Job als Finanzministerin eingelassen. Macht Politik süchtig?
Also, ich würde sagen, ich war auch damals nicht so süchtig wie andere. Aber natürlich gibt es einen gewissen Gestaltungsdrang, wenn man einmal ein hohes Regierungsamt hat. Da fragt man sich schon: Warum soll ich jetzt aufgeben, wenn ich doch weitermachen kann? So war das bei mir, als ich mich entschied, vom Sozial- ins Finanzministerium zu gehen. Mancher mag nach Politik süchtig sein, vor allem Männer trifft das, die ohne Politik dann gar nicht mehr leben können. Die werden krank, wenn sie ihre bisherigen Ämter verlieren. So weit war es bei mir aber nie. Ich war maximal in einer Vorstufe zur Sucht.
Was war die beste Zeit ihres politischen Lebens?
Die aufregendste Zeit waren die Jahre zwischen 1990 und 1995. Da konnten wir fernab all der Bedenkenträger – auch mit Hilfe aus dem Westen – wirklich sehr kreativ und schnell Dinge entscheiden und auch zum Guten verändern. Später haben die Bedenkenträger immer mehr Gewicht gewonnen, aus einer lebendigen Verwaltung wurde immer mehr ein versteinerte.
Und was war die schwierigste Zeit?
Die war im Jahr 2014 gekommen. Die SPD hatte die Landtagswahl verloren …
… in die Sie Ihre Partei als Spitzenkandidatin geführt hatten …
… und nach der die SPD dann trotzdem Teil eines rot-rot-grünen Bündnisses werden sollte. Ich musste mich damals erst mal selbst finden, für mich klären, welchen Anteil ich an unserer Wahlniederlage hatte. Gleichzeitig wurden wir von der CDU und auch aus den eigenen Reihen angefeindet, weil wir uns auf den Weg zu einer Koalition mit den Linken befanden. Wir sind damals ja als Verräter beschimpft worden, es gab Kerzen auf dem Domplatz in Erfurt gegen Rot-Rot-Grün. Das war eine äußerst schwierige Zeit.
Haben Sie derlei Anfeindungen mit nach Hause genommen? Oder waren Sie politisch abgebrüht genug, das nicht zu nah an sich ran zu lassen?
Im Jahr 2014 ging es mir schon eine ganze Weile lang nicht so gut. Aber ich habe trotzdem versucht, vieles mit mir selbst auszumachen. Ich hatte für mich schon damals einen Mechanismus gefunden, der mir seit vielen Jahren hilft. Immer wieder habe ich mir gesagt: Die meisten Leute interessiert Heike Taubert als Mensch wenig bis gar nicht. Wenn mich Menschen kritisieren, egal wie hart, dann meinen sie die SPD-Spitzenkandidatin, die Sozialministerin, die Finanzministerin, aber nicht mich als Mensch. Mit dieser Trennung zwischen Amts- oder Parteiperson und mir persönlich konnte ich auch damals vieles besser verkraften – und das ist etwas, das ich auch jedem jungen Politiker, jeder jungen Politikerin empfehlen kann, weil man sonst an der Politik wirklich kaputtgeht.
Sie haben gesagt, dass Männer eher nach Politik süchtig werden als Frauen – und Sie sind nicht die Einzige, die so auf den Politikbetrieb blickt. Warum ist das so?
Ich denke, das hat viel mit Erziehung zu tun. Mädchen gucken ja nicht nur auf ihre Väter und stellen fest, wie toll die sind. Sie schauen sich natürlich auch das Handeln von ihren Müttern ab, die viele Dinge scheinbar gleichzeitig machen: Sie müssen gut organisiert sein, müssen die Familie lenken, müssen umsichtig sein und sie sind oft auch diejenigen, die innerhalb der Familie das ausgleichende Element sind. Und so treten Frauen dann auch in der Politik auf: Ausgleichend, auf Mitmenschen achtend, sich selbst ein Stück zurücknehmend. Viele Männer tun das alles nicht, die fahren die Ellenbogen aus, stellen sich in den Vordergrund und fragen sich nie, ob sie für ein höheres Amt eigentlich qualifiziert sind. Frauen tun das ständig. Wer aber nie hinterfragt, ob er ein hohes Amt ausüben kann, weil er sich einfach für dafür geboren hält, der hat natürlich auch ein höheres Risiko, süchtig nach derlei Ämtern zu werden.
Wenn man auf die Weltbühne schaut, kommt man nicht umhin festzustellen, dass männliches Führungsgehabe wieder deutlich an Einfluss gewonnen hat.
Das stimmt. Und das ist mehr als bedauerlich, aber es kommt für mich auch meiner ganz persönlichen Erfahrung nach nicht wirklich überraschend. Ich habe auf Arbeit schon seit ein paar Jahren gemerkt, dass sich gut qualifizierte Frauen auf mittleren Führungsebene inzwischen sehr genau überlegen, ob sie sich den Stress antun, sich mit Männern auseinanderzusetzen, die dermaßen von sich überzeugt sind, dass es oft schon weh tut. Viele Frauen tun das nicht – und machen damit diesen Männern ein bisschen auch den Weg frei. Ich bin deshalb eine Verfechterin von Quoten, wie wir sie in der SPD haben.
Fällt es Männern deshalb auch schwerer, aus der Politik auszuscheiden als Frauen?
Eindeutig ja. Ich meine, schauen Sie sich nur unseren inzwischen Ex-Ministerpräsidenten an. Ich gratuliere Bodo Ramelow von ganzem Herzen zu seiner Wahl zum Vizepräsidenten des Bundestages. Aber Sie erinnern sich doch auch noch, dass er sich eigentlich vorgenommen hatte, sich nach seiner Zeit als Regierungschef um sein Enkelkind und seine Familie zu kümmern? Tatsächlich spürt man bei ihm eine so große innere Unruhe seit er nicht mehr Ministerpräsident ist, dass es mich überhaupt nicht wundert, dass er jetzt eben doch nicht aus der Politik ausgeschieden ist. Er ruht längst nicht mehr so in sich, wie das zu der Zeit war, als er noch Ministerpräsident war.
Und Sie? Welche Ziele haben Sie jetzt?
Ich werde mich verstärkt meinen Ehrenämtern widmen. Meine Arbeit im Kreistag macht mir zum Beispiel viel Spaß, und der werde ich mich jetzt intensiv zuwenden. Und ich bin seit einigen Jahren im Unicef-Komitee Deutschland. Außerdem kann ich jetzt das eine oder andere Konzert mehr besuchen als in der Vergangenheit, bis nach Chemnitz – der aktuellen Kulturhauptstadt – ist es von mir zu Hause ja nicht weit. Und ich singe wieder in einem kleinen Kirchenchor.
Der Heike-Taubert-Fanclub, den es in der Thüringer SPD inzwischen gibt – welche Rolle wird der in Zukunft in Ihrem Leben spielen?
Das sind Menschen, die mir gerade nach dem Parteitag im April eine so große emotionale Unterstützung gegeben haben, dass ich das kaum beschreiben kann. Sie werden für mich deshalb auch weiterhin wichtig sein, weil es in der Politik ja auch darum geht, gleichgesinnte Menschen zu finden.
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