Der kollektive Held

Ein Klassiker der Graphic Novel wurde nach langem Zögern verfilmt: »Eternauta«

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Endgegner ist nicht in Sicht.
Ein Endgegner ist nicht in Sicht.

In Argentinien ist Eternauta eine Legende. Diese aus einem Comic stammende Figur ist eine Chiffre für den »kollektiven Helden«, mit der sich dort sogar Schulklassen befassen. Nun hat sich das Unternehmen Netflix, das gerade eifrig wichtige literarische Stoffe aus Lateinamerika adaptiert (unter anderem »100 Jahre Einsamkeit« und »Pedro Parámo«) an eine Verfilmung der berühmten Graphic Novel gewagt, die zwischen 1957 und 1959 erstmals erschien und von einer Alien-Invasion in Buenos Aires erzählt, einem düsteren Buenos Aires, das in einem toxischen Schneesturm versinkt. Vier Freunde, die gerade beim Kartenspiel zusammensitzen, werden von diesem Schneefall im Sommer überrascht, Blitze zucken über den Himmel, seltsame Geräusche sind zu hören, und mit einem Mal liegen überall Leichen auf den Straßen.

Wie finde ich Verbündete, wenn die Welt unterzugehen scheint?

Die Graphic Novel von Hector German Oesterheld (Text) und Francisco Solano López (Grafik), in Deutschland erstmals 2016 erschienen, gilt heutzutage als prophetische Allegorie auf die Militärdiktatur der 70er Jahre. Das hat auch damit zu tun, dass der Autor Hector German Oesterheld zu einem der berühmtesten »Verschwundenen« dieser Militärdiktatur wurde. Auch seine vier Töchter, die wie der Vater 1977 in den Untergrund gingen und als Montoneros gegen die faschistische Junta kämpften, wurden wahrscheinlich verschleppt, gefoltert und ermordet. Oesterhelds Frau wurde eine der Frontfiguren der Madres de Plaza de Mayo, die in Argentinien jahrelang für die Aufklärung der Diktatur-Verbrechen kämpften.

Der Eternauta ist ein in die Jahre gekommener Mann, der mit Gasmaske und Gewehr bewaffnet durch das apokalyptische Buenos Aires zieht und versucht herauszubekommen, was da eigentlich vor sich geht. Die Alien-Invasion beginnt mit einer mörderischen Vergiftung der Umwelt, dann tauchen eigenartige Monster auf, und schließlich werden zahlreiche Bewohner zu willfährigen Dienern der Invasoren gemacht. Die Invasion ist ein komplexes System unterdrückerischer Abhängigkeiten, ein feindliches Herrschaftssubjekt trifft auch der Eternauta nicht an. Das wird in der Serie als atmosphärisch dichte Erzählung umgesetzt, die nicht wie das Original Mitte der 60er Jahre, sondern im Hier und Jetzt angesiedelt ist, inklusive der in Argentinien üblichen Sozialproteste auf Töpfen schlagender Menschen, die das Straßenbild prägen.

Aber bald versinkt die Metropole Buenos Aires in tiefem, giftigem Schneegestöber und unendlich viele Leichen säumen die Straßen. Was passiert angesichts einer solchen Katastrophe? Wie reagieren die Menschen? Das anfängliche »Jeder gegen jeden« weicht bald dem Versuch, sich zu organisieren. Die zwischenmenschlichen Dramen sind das eigentliche Thema: Wie finde ich Verbündete, wenn die Welt unterzugehen scheint?

Im Vorwort zum Comic stellte Oesterheld 1976 den Aspekt des gemeinsamen Kampfes gegen eine drohende Gefahr in den Vordergrund: »Der wahre Held ist ein kollektiver Held, eine Gruppe von Menschen.« Wie diese sich dann gegen die Aliens zur Wehr setzen und der Eternauta schließlich in den Weltraum und durch die Zeit reist, erzählt diese Serie, die die schwer fassbare Magie der Graphic Novel in Fernsehbilder umsetzt. Oft schon sollte »Eternauta« verfilmt werden, wobei sich die Erben Oesterhelds stets gegen eine Hollywood-Version verwahrten. Sie wollten den Stoff als authentische argentinische Geschichte verfilmt sehen, die nun die Netflix-Version bietet.

»Eternauta« ist seit 30. April in sechs Teilen auf Netflix verfügbar.

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -