Ulrich Schneider: Man liest nur, was man versteht

In seiner nd-Blattkritik fordert Soziologe Ulrich Schneider mehr sprachliche Sorgfalt

  • Günter Piening
  • Lesedauer: 3 Min.
Ulrich Schneider
Ulrich Schneider

Ulrich Schneider hat eine klare Vorstellung davon, was ihm eine linke Tageszeitung bieten muss: »Orientierung, Einordnung aktueller Geschehnisse, Berichte über Ereignisse, die andere Medien nicht bringen, und Hinweise auf Initiativen und Aktivitäten. Und das alles in einer Sprache, die mich morgens beim Frühstück nicht überfordert.«

Schneider, der auch nach seinem Ausscheiden als Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes e.V. (»Der Paritätische«) als Autor und Redner auf Veranstaltungen eine kräftige Stimme gegen Armut und Ausgrenzung ist, hat für die Blattkritik die Tageszeitungsausgabe vom 12. Februar genau studiert. Er findet vieles, was ihn zufriedenstellt – und manches, was ihn stört.

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Den Text zum bayerischen Berufsverbot für die linke Klimaaktivistin Lisa Poettinger hebt er hervor. »Da spielen sich Dinge in Deutschland ab, die einen Linken alarmieren müssen. Andere Zeitungen schreiben nur kurz darüber, hier bekomme ich alle Hintergründe, selbst aus dem Ministeriumsschreiben wird zitiert. Das wird für mich nachvollziehbar, damit kann ich arbeiten.« Der gescheiterte Antrag auf Legalisierung von Abtreibungen, der Wahlappell der Kirchen, die »Abzocke an Geflüchteten« und die verschärfte Migrationspolitik Londons – all das sind für ihn solche »wichtigen Themen mit hohem Informationsgehalt. Das lese ich.«

Diesen hohen Gebrauchswert findet Schneider, der in Berlin wohnt, auch auf den Hauptstadtseiten. Was in der Nähe stattfinde, interessiere ihn mehr, und hier lese er vieles, was für seine politische Arbeit wichtig sei – Themen, »über die ich im Netz nichts finde« und andere Zeitungen teils gar nicht berichten.

Lektüre auch ohne Studium

Schneider legte 2024 das Buch »Krise. Das Versagen einer Republik« vor – ein »Buch für alle, die verstehen wollen, wie und warum die deutsche Regierung durch die Krisen der letzten Jahre gescheitert ist«, wie es im Werbetext heißt. »Verstehen« und »Verständlichkeit« sind auch die Schlüsselworte in seiner Analyse der nd-Texte. Denn »ich komme nur mit Dingen klar, die ich verstehe«. Deswegen lese er den zweiten Teil der Zeitung in der Regel nicht. Das Feuilleton berichte fast nur über die Hochkultur, aber »Kultur ist viel mehr als Buchveröffentlichungen oder Theaterpremieren«, kritisiert der promovierte Pädagoge, der seine Doktorarbeit zur Jugendpolitik der 70er und 80er schrieb und selbst als Rockmusiker auftritt. Oft würden die richtigen Fragen gestellt, aber wenn dann der Text abdrifte und es in der Antwort nur so von Adorno und instrumenteller Vernunft wimmele, steige er aus. Wenn er Sätze lese wie »Stegemann folgt dem Soziologen Andreas Reckwitz, für den der konformistische Individualismus die hegemoniale politische Form der ›neuen Mittelklasse‹ ist«, frage er sich: »Muss ich erst Philosophie studiert haben, um das ›nd‹ zu verstehen?« Vor allem die Wochenendausgabe sei durchzogen von solch ausgrenzender Sprache.

Schneiders Plädoyer: Die Redaktion solle in der Textauswahl kritischer werden und mehr Aufmerksamkeit auf sprachliche Qualität und Verständlichkeit legen. Er erwarte »von Menschen, die hauptberuflich mit Sprache umgehen, dass sie Zusammenhängen und Gedanken eine angemessene Sprache geben. Wenn ich einen Artikel gelesen habe und am Ende denke, ja, genauso ist es, das hätte ich besser nicht ausdrücken können – dann hat die Redaktion eine gute Arbeit geleistet.«

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